Ahrflut – Rheinwiesen – Moselsonne

Was passiert, wenn Traumatisierungen nicht aufgearbeitet werden?

Es stürmt hier an der Mosel in Ernst. Im Ernst, das heisst Ernst hier, ein Ort hinter Cochem. DORT sind alle Touris, hier fast keiner. Mir ist grad fast der Kaffee aus dem Bus geflogen, solche Böhen hat es derzeit. Und vorhin, als ich von der A48 über den Buckel fuhr mit einer Wahnsinnsaussicht rundum –  wäre auch schön, wenn man nicht gleichzeitig 10 (!!) Windparks sehen würde – wurde es noch lustiger…..

Also ich steig zum Staunen direkt bei Höhe NN 460 aus auf dem Kamm, verdrecke mir die Crocs – nicht schlimm – was dann kam, war Kabarett: Ute als Rumpelstilzchen. Ich wollte die Schlappen säubern, ohne in den Bus zu turnen, wer einen hat, weiß, dass da ein Tritt ist am Fahrerhauseinstieg. Ich stell die da ab, will ein Tuch holen, da fliegt die Tür zu und einer der Treter im hohen Bogen mit Flugschein der S-Klasse in den Acker…. Die Busfahrer von Euch denken jetzt: warum geht sie nicht einfach über die Schiebetür rein ? Ja, der Wind war so stark: ich hab sie nicht aufbekommen!! Also auf einem Tretwerk reingehopst, Wanderschuhe suchen, die waren zum Trocknen an der Heizung gestanden und mit den Bändeln zusammengebunden (*der Grund kommt weiter unten), bei der Heizung hinterm Beifahrersitz… Man hätte es filmen sollen. Ich war erst wütend und dann hab ich gelacht bis ins Moseltal.

Was mach ich hier an der Mosel eigentlich? Ich versuchen mir vorzustellen, wie es wohl an der Ahr VOR dem Desaster ausgesehen hat….Sonne, Restaurants, Touristen, Blumen, ein Fluss mit Booten….

*Jetzt kommt die Erzählrampe zum *:

Hatte in Mayschoss noch Wein gekauft in der Winzergenossenschaft gegenüber vom Standplatz. Ich schenk eine Flasche an diejenigen, die mir versprechen, dann an die Ahr zu fahren…

Dann nach Dernau: dort ist in einem ehemaligen Sanitärladen jetzt eine Bäckerei. „Improvisieren lernt man HIER“, kommt von der Konditorin, als sie zwei Kuchen in das Café jongliert. Sie kommt aus einer Gasse zwischen halbzerstörten Häusern hervor. Bin wieder innen still und außen dann auch und öffne ihr die Tür zur Theke. ..

Jetzt will ich an die Ahrmündung (in den Rhein) fahren, die bei Sinzig/Remagen ist und dort waren auch Rheinwiesenlager…. Wer jetzt keine Ahnung hat, wovon ich es habe, möge auf Wiki mal lesen und da besonders die geschichtliche Beschreibung der Landeszentrale für politische Bildung RLP, Blätter zum Land Nr. 63. Ich habe Euch Screenshots gemacht. Und setzt Euch vorher…. Und Taschentücher sind auch ganz wichtig….

Wer weiss, wovon ich es habe, bekommt gleich Gänsehaut.

Erst habe ich am nördlichen Teil der Mündung Hinweise gesucht und bin von Kripp über den Radweg „Achtung Naturkatastrophe“ hingelaufen. Erschüttert Bilder gemacht mit einem herzförmigen Stein, geweint, Weihwasser verteilt und wieder zum Bus. Dann südlich gesucht, ab Industriegebiet Sinzig, Nähe des Bootsvereins. Und dort stehen sie: Gedenksteine, ein Erklärungsschild und ein Grablicht, Kerze war aus. Zunächst habe ich den Hund im Bus gelassen, eine geweihte Kerze reingestellt (DANKE Clemens für Weihwasser und geweihte Kerzen!!), gebetet und geweint. Hier war es also, dass Hunderttausende von deutschen Soldaten 1945 im Regen standen, froren, verhungerten oder an Infektionen starben. Ich erspar Euch Details hier. Lest es nach:   es ist Teil unserer Geschichte und wir dürfen es nicht verdrängen.

Wer von Euch ist Coach oder Therapeut? Ihr wisst es: wenn man Traumatisierungen nicht aufarbeitet, sie nicht bewusst macht, nicht hinspürt, weint und sie integriert: dann kommen sie entweder woanders hoch, man wird krank oder man wird psychotisch.

Wo wir jetzt als Volk stehen, könnt Ihr selber mal erspüren.

Ich habe Chai aus dem Bus hopsen lassen und wir sind MITTEN durch diese Felder gelaufen, wo die Lager waren….langsam, es war windig und es hat genau dann angefangen zu regnen, als wir losliefen. Erst bissle, dann immer stärker. Wind und Regen.

Ich ging mit dem Hund bis zur anderen Seite der Ahrmündung am Rhein, es regnete wie aus Eimern. Wisst Ihr was? Es regnete nur DIE Zeit, die ich dort ging in Gedanken an diese Menschen. Kaum am Bus: Sonnenschein. Als ob mir die Soldaten von damals zeigen wollten: so war das, du bist seiig nass bis auf die Haut, es läuft Dir in die Wanderschuhe rein, die Hose klebt an den Beinen, es läuft in den Nacken, den Rücken runter, kalt. NUR: ICH konnte wieder in den warmen Bus, mich umziehen…. DIE standen da weiterhin tage- und wochenlang in den gleichen Klamotten, frierend……. unfassbar…. ich hatte Gänsehaut.

Fahrt mal hin, spürt Euch dran. Es kann nur heilen, wenn wir hinsehen und es fühlen und heilen lassen. SIE heimgehen lassen.

Die Kerze brennt 5 Tage. Wenigstens das.

Ich fuhr danach in der Sonne an die Mosel, über Eifel und Hunsrück Einfach schön. Hinter jeder Kurve neue Landschaftsformen. Ich komme wieder.

Dieses Kastenwagenleben hat mich verändert.