Ahrtal – alles ist möglich und wichtig

Wieder ein Tag voller Eindrücke. Ich fahre bei Regen in Nohen weg, Ziel Kalenborn oberhalb vom Ahrtal. Dort ist einer Containerarztpraxis ein Teil meines Praxisinventars verbaut, damit die Kollegin weiter Patienten versorgen kann. Ihre Praxis und ihr Haus: abgesoffen letztes Jahr in der Flut. Die Fahrt dahin: sind das noch Wälder, die wir hier haben? Sehen aus wie umgeknickte Mikados. Wirtschaftswald. Misswirtschaft. Nur für Ernte angebaut. Ich suche den Zauberwald im Hambachtal und finde Windräder. Alles dreht sich nur noch um Energie und Klima. Ich komme an einer Petersquelle vorbei, wo es früher eine Badeanstalt gab. Heute ist ein Sprudelabfüllwerk im nächsten Wald. Aus der alten Quelle kommt – natürlich – nichts mehr. Wir sollen zahlen für das Wasser. Ich fahre hin und her und finde ausser abgeernteten Wäldern und Kahlholz keinen Wald und auch keine Quelle mehr. Stimmung: zwischen Wut und Ratlosigkeit.

Kurze Pause vor der Sommerrodelbahn (wer braucht sowas?) mit Chai ein Würstchen essen und mich mit kurz waschen… Dann zu der Kollegin.

Sie zeigt mir die kleine Praxis im Container: eine Anmeldung, ein Behandlungsraum, ein Labor. Fertig. Was sie für Probleme hat? Die Menschen haben hauptsächlich psychische Probleme, Wunden und Infektionen. Sie hat erst dann von der KV Unterstützung bekommen, als sie sich massiv öffentlich aufgeregt hat. Kenne ich, denke ich. Ausgleichsgelder? Keine bisher. Meine ehemalige Praxisausstattung hat einen neue Aufgabe bekommen und wirkt sehr trotzig in dem Container.

Ich fahre weiter ins Ahrtal runter, bin aufgeregt. Zu Recht: es sieht aus wie eine Mischung aus Wildwest und Krieg. Häuser weggerissen, Bagger wo man hinschaut, hingezimmerte Buden für die Helfer, überall prangen DANKE-Schilder für die Helfer. Der Staat?? Vergiss es, sagen mir alle Leute, die ich treffe. Ohne die privaten Helfer wären wir untergegangen.

Ich fahre in Ahrweiler zum alten Regierungsbunker und treffe dort einen Kölner, der die Führungen macht. Nur heute nicht, Sonntag wieder. Er erzählt: er sei monatelang bei Verwandten und Freunden untergekommen, die haben ihm auch Geld geliehen, da die HIlfen nicht kamen. Nächste Woche (!!!) kann er endlich wieder in sein Haus, in dem die letzten Monate 8 Bautrockner gelaufen seien. „Gehen Sie mir weg mit Staat, ist doch alles Klüngel!“

Er schickt mich zum Silberbergtunnel. Das wird emotional, kann ich Euch sagen. Erst war er als Eisenbahntunnel geplant im letzten Jahrhundert. Wurde nix draus, schaut Euch die Bilder mit der Geschichte an…. auf jeden Fall: Ich stehe vor dem Tunnel und weine. Er wurde im 2. WK als Fluchtbunker genutzt. Ich spüre förmlich die Angst und die Verzweiflung. Ich nehme Weihwasser aus meinem Rucksack, versprenge es am Eingang und bete. Mich hat schon lange nichts mehr so bewegt. Wie ging es den Menschen damals? Was für Dramen haben sich hier angespielt?

Haben wir was gelernt?

Gottseidank versöhnt mich der Frühling: die Rotkehlchen singen wie immer, die Kirschen blühen, die Hummeln summen…. Leben geht einfach weiter.

Wenn das Leben aus den Fugen gerät, kommt das Leben auch aus den Fugen…

Zurück zum Bus, ich will an die Quelle der Ahr fahren nach Blankenheim. ABER: man kommt nur bis Mayschoss… dann ist die Strasse einfach gesperrt. Und die Fahrt dahin mutet an wie Kriegsgebiet. Ich kann es nicht beschreiben. Kommt her, redet mit den Menschen.

Ich treffe in Mayschoss auf einem Schotterplatz unterhalb der Saffenburg ein Ehepaar aus Rheinhessen, die auch festgestellt haben, dass es den Wohnmobilstellplatz einfach nicht mehr gibt und jetzt einen Wein trinken gehen bei der Winzergenossenschaft. Gut, ich geh mit, bin zwar kein Kampftrinker, aber wir haben dann einen super netten Abend mit allen Mitarbeitern und -innen der Winzergenossenschaft. Alle offen und sehr echt.

Fazit für heute: Deutschland hat zwar keine Wälder mehr, aber Menschen, die für das Echte gehen. DANKE.