4.12 Uhr: Brabumbrabumbrabum, Chai klopft mich wach mit seiner Rute, die zwischen Bad und Kühlschrank anschlägt. Nein, doch noch nicht aufstehen!! Er wimmert…. oh Mann, ich steh in einem Wohngebiet! Rausschälen, die Wanderschuhe an die Schlafanzughose, es sieht mich ja keiner… Draußen hört man ausser der Autobahn vor Dülmen nichts. Ich bin genervt.
4.14 Uhr: ein Rotkehlchen fängt an zu singen, ganz allein, und mir fällt auf, dass ich diesen magischen Moment des ersten Vogelgesangs zum ersten Mal wahrnehmen darf. Chai setzt sich vor mich und schaut mich mit seinen grossen Kulleraugen fest und ruhig an. Ja, jetzt hab ich es auch verstanden. DANKE, dass du mich rausgejagt hast!
Leider hatte ich mir beim ins Klo turnen vorm Rausgehen durch Kanisterhochheben aus dem Schlaftran die Bandscheibe verärgert, die sich jetzt aufregt. Aconitum Schmerzöl drauf, MSM nehmen, die Schlafsackrolle unters Knie und meditieren. Ich schlafe nochmal fest ein und beim Aufwachen ist alles weg und ich freu mich auf den Kaffee bei Alex, Bernd und Buddy.
Nach Lebensgeklöne, Lebensgeschichten und einem Hundespaziergang mit Alex klettere ich wieder in den Bus und will jetzt mal sehen, ob ich nicht doch noch Wildpferde erhaschen kann.
Ich verrate es Euch gleich: nein. Und die Lektion, die ich heute damit gelernt habe, auch gleich: wenn Ihr was zu sehr wollt, passiert genau nix. Wenn Ihr dann aber offen bleibt für Neues, passiert Mystisches. Aber da wo man es nicht vermutet und oft auch leise.
Zwischen dem Pferdesuchen und dem Mystischen lagen heute viele Versuche, dem Besonderen zu begegnen, viele aufgeregte Gedanken und Wut und Enttäuschung. Was erzähl ich zuerst? Der Reihe nach:
Also kein Pferd gesehen, nach Raesfeld gefahren, ein Wasserschloss angesehen, hat mich nicht berührt. Nach Maria Veen gefahren, ob ich dort wohl an den Wald komme. Habe eine tolle Eisdiele gefunden, aber keine Dülmener Wilden. Eine Eremitenkapelle im Wald umwandert, auf dem Boden Hufspuren gesehen, keine leibhaftigen Pferde.
Danach habe ich entschieden: ich fahre wieder gen Süden, schrubbe das Ruhrgebiet in einem Rutsch weg und fahre bei Mayschoss wieder auf den Standplatz unterhalb der Burg und gehe noch einen Wein trinken. Dachte ich so…
Lüttich stand auf dem Autobahnschild, als ich müde wurde und nach einer interessanten Abfahrt suchte. Von Römern stand da was, also fuhr ich ab. Kannst ja noch ne Kaffee trinken dort…. wie naiv! Zülpich ist eines der Städtchen, 39 km von Köln entfernt, was mal schön war und gute Zeiten und Geschichte hatte, man sieht es an „Anno 1689“ an den Häuserwänden und an Verzierungen an den Dachgiebeln. Auch der Marktplatz könnte schön sein, er ist quadratisch und hätte in der Mitte viel Platz für Cafés und Bänke. Leute! Es hat nur eine Dönerbude dort, die Hälfte der Geschäfte gähnt mich leer an, auf den Türschildern kaum deutsche Nachnamen (das ist eine Aufzählung von Fakten und keine WErtung, macht Euch Eure eigenen Gedanken). Die Stadt verwahrlost sich selbst. Vor dem Rathaus: Flaggen von der EU, der Stadt und der Ukraine…. Auch da denkt einfach selber mal nach.
Ich habe sie mit einer Mischung von Wut und Traurigkeit verlassen. Dieses Land zerstört sich selbst: seine Kultur, seine Geschichte, seine Wirtschaft, seine Werte.
Es scheint auch seinen Wald zu zerstören. Jeden Tag in jeder Region sehe ich Streichholzwälder, so Mikadobäume, die horizontweit abgeholzt, umgeknickt, weggestalpet werden. Ich habe mit vielen Leute geredet, ich meine die, die sich eigenes Denken erlauben und sich als in Verantwortung fühlen für dieses Land. Viele haben so Sätze gesagt wie: „wenn DIE mich nicht in Ruhe lassen, gehe ich in den Wald!“ Welcher Wald? Deutschland hat keinen Wald mehr! Bitte: zeigt ihn mir!! Dichter Mischwald mit altem Bestand, in dem man „hausen“ könnte, so ein Eichendorff-Wald, wisst Ihr?!?
Schreibt mir das doch mal!! Ich fahr da hin, schwör ich!!!
Was mir heute auch aufgefallen ist: ich habe zig Schilder gesehen: Römer dies und Römer das, ein Fort, eine Wasserleitung, ein Badehaus….
Was ist mit den Germanen? Den Kelten? Die Römer waren Besatzer und Eroberer. Wusstet Ihr, dass Germane übersetzt bedeutet: das Volk, das mit den Mondzeiten feiert und tanzt!? Wie schön ist das denn?
Was ist mit diesem Land, was eher den Besatzern überall Schilder hinhängt, aber nicht den eigenen Vorfahren? Über die Rheinwiesen will ich jetzt gar nicht erst anfangen zu schreiben. Da fahr ich morgen aber hin. Ich wette: kein Schild, kein Gedenken. Nix.
Jetzt noch das Mystische: auf der Fahrt nach Mayschoss kam ich durch Bad Münstereifel durch (wusstet Ihr, dass das auch zerstört wurde? Ich nicht…. Gott im Himmel….) und dann die Ahrstrasse hoch Richtung Ahrtal gefahren, wunderschöne Serpentinenstraße, Anmerkung für die Motorradfahrer…). Oben auf der Kuppe ein Waldparkplatz und ich denk noch: so schön mit Blick auf die Hügel, da könntest für die Nacht stehen. Fahr rein. Wieso steht da ganz allein ein Schaf? Denke ich. Ich rolle langsam auf den Parkplatz: da steht ein schneeweißes Reh und äst ungerührt weiter….. Könnt Ihr Euch vorstellen, was in mir vorging? Den ganzen Tag suche ich das Besondere…. da steht es einfach so und schaut mich neugierig an.
Biste fertig….
Und jetzt noch ne Pointe: gerade eben beim Schreiben kommt ein Van auf den Parkplatz von Mayschoss, ich winke so. Es ist ja schon dunkel. Es steigt Sophie aus Belgien aus, Lehrerin, Gleitschirmfliegerin… sie fährt gerade nach Italien und kommt hier durch. Wir sprechen englisch und trinken Wein und sind uns einig: du musst einfach LEBEN und du musst EINFACH leben. Sie ist ganz geschockt von dem was im Ahrtal passiert ist. Wir sind sofort auf einer Wellenlänge und morgen trinken wir Kaffee zusammen….
Ihr könnt die wichtigen Dinge nicht machen, sie kommen, wenn Ihr Euch öffnet für das Unerwartete….