Unterbelichtet, Überbelichtet, falsch belichtet, losgedichtet. Heute will ich mit Euch dem Thema verschiedene Belichtung und Beleuchtung nachgehen.
„Ihr könnt die Sonne nicht am Aufgehen hindern, wenn die Nacht vorbei ist“ ging mir durch den Kopf, als ich heute morgen den Kastanienweg lief zur Walddusche bei Gleisweiler. Mir wurde erst beim Gehen die Doppeldeutigkeit bewusst.
Ich war um kurz vor 6.00 aufgestanden mitten in einem Vogelkonzert durch die Dachluke und um mich herum. Ich stand auf dem Terassenparkplatz oberhalb der Weinberge und unterhalb vom Wald, wo ich übernachtet hatte. Einer meiner Lieblingsplätze zum verwundert aufwachen.
Da hatte ich gestern den Bus abgestellt, um essen zu gehen bei Don Camillo e Peppone, und bin danach durch den wirklich stockdunklen Weinberg bei Sternenhimmel zurückmarschiert zum Roll-Tiny, mit Chai neben mir hertrabend.
Wisst Ihr wie es sich anfühlt, allein durch zappendustre Nacht zu gehen, in der Ferne sieht man die derzeit rosa beleuchtete Madenburg wie schwebend überm Pfälzer Wald, und ich höre nur das Knirschen meiner Wanderschuhe und ein Käuzchen im Wald.
„Der Wald steht schwarz und schweiget…“ Könnte ich jetzt allein auch in den Wald gehen? Hätte ich ein mulmiges Gefühl und wenn ja: warum? Reines Kopfkino…Hier gibt es außer Wildschweinen nichts Gefährliches. Und die sind an Kastanien interessiert. Ich war aber trotzdem froh, im Bus zu sein.
Zurück zu heute morgen. Manchmal stelle ich mir vor, ich wäre gerade neu auf diesem Planet und hätte noch nie einen Sonnenaufgang oder belichtete Blätter gesehen oder trällernde Drosseln gehört. Wisst Ihr was dann passiert? Ich schwebe ganz ehrfürchtig durch den Wald, alles ist geradezu verzaubert, unterschiedlich in Licht getaucht. Selbst wenn ich beim Fotografieren der aufgehenden Sonne einfach nur den Fokus ändere, kommt ein ganz anderes Bild raus: Fokus auf die Sonne: alles wird dunkler und markanter auf dem Bild. Fokus auf die Landschaft: die Sonne bekommt wie eine Riesen-Aura! Wahnsinn! Was vor mir liegt, hat aber doch nur EINE Wahrheit, oder? Je nach Fokus, ändert sich aber das Bild. Auch bei den Blättern, die schräg von der Sonne angeleuchtet werden frühmorgens: Fokus auf das Blatt ergibt was anderes als Fokus auf die Kastanie. Probiert das mal aus! Was da vor uns liegt, ist aber doch absolut, oder etwa nicht? Eben nicht: Die Wahrheit hängt vom Blickwinkel und von der Einstellung ab, der Kamera oder von uns zum Leben: wird es heller oder wird es dunkler?
Auch entdeckte Gegensätze, an denen ich sonst achtlos vorbei gehe: frisch sprießende Blätter neben vermodernden Bäumen, längs gezeichnete Baumstämme neben feingleichmässig gezeichneten, und beide unterschiedlich verwurzelt; senkrecht sich abzeichnender Stängelwald (!! Der ja keiner ist, ist aber anders Thema und hab ich beim Esel schon was dazu geschrieben) hinter kleingeringelten Blumenhecken. Achtet mal auf solche Gegensätze. Was macht das mit Euch? Ich habe für mich daraus gelesen: es besteht alles nebeneinander und gleichzeitig, als wenn diese vermeintlichen Gegensätze sich gegen-seitig verstärken, markanter machen. Das Leben findet einfach so statt, ob wir es be-werten oder nicht.
„Raus aus unserem funktionalen Denken, rein in die Be-deut-ung“, kommt mir in den Sinn. Wir deuten alles um uns herum. Die Welt ist einfach so da mit ihren Ruppigkeiten und scheinbaren Ambivalenzen.
Bei solchen Entdeckungen werde ich laaangsamer, mal wieder. Verharre, staune, nehme auf.
Ich gehe in das Hainbachtal, höre jetzt den Bach plätschern und dabei fällt mir noch was auf. Wasser hat ganz unterschiedliche Geräusche, es berührt uns auch ganz unterschiedlich: es plätschert, es rauscht, es fällt als Wasserfall oder über Fischtreppen, es rinnt über Moos, es gluckert unter Brücken durch…. was kommt Euch noch so an Worten zu Wasser in den Sinn?
Ich bin noch ganz in Gedanken, als ich mich fertig mache für die Walddusche. Chai findet das jedes Mal doof, wenn er auf mich warten muss, allerdings nimmt er seine Aufgabe als Hütehund und Beschützer dann besonders ernst und sitzt mit konzentrierter Miene vor der Hütte und bewacht meine Klamotten.
Dann kommt dieser Moment, den ich so liebe: die kalte Dusche aus 2 Metern Höhe, Wasserfall prasselt auf meine Haut, einatmen und ausatmen und wieder raushüpfen, abrubbeln und jetzt kommt’s: Prickeln auf der Haut. Und ich stehe im einem vogelvollgezwitscherten frühlingsgrünen Wunderwunschwald (ich liebe die deutsche Sprache!!!) und bin einfach erfüllt und sprachlos.
Wandere dann am Bachlauf entlang weiter und habe das Gefühl von Millionen Wundern umgeben zu sein.
„Warum ist vielmehr nicht nichts?“ hat ein Philosoph mal gefragt – wer war das nochmal? So geht es mir, wenn ich mit mir, Chai und all dem Feenhaftem in der Natur still und all-ein bin.
Geht und staunt.