So bin ich auch noch nicht wachgeworden: auf schwarzem Schotter zwischen einem Müllabladeplatz, Weinbergen und unterhalb einer Burg und das alles gleichzeitig. Es piepst immer wieder von rückwärtsfahrenden LKWs oder es dröhnt der Ferne von Traktoren oder Baggern. Ich mache mir erstmal Kaffee und husche wieder in meine Schlafhöhle, dem einzigen warmen Platz im Bus. Will ja lieber das Gas für den Kaffee verwenden….
Chai will unbedingt Gassi gehen und wedelt alles auf dem Busboden durch die Luft, bis ich dann endlich mich aus allen Deckenlagen schäle, doch kurz das Gas anmache, damit das Bad warm wird. Waschen geht übrigens ganz einfach, wenn man kein fließendes Wasser hat und das aus dem Kanister auch noch sparen will: bissle Wasser ins Becken, Waschlappen nehmen wie die Vorfahren und ich halte es für Luxus, dass es in der Waschkabine warm ist.
Dann raus, will mit dem Cockerspaniel auf die Saffenburg wandern. Die liegt oberhalb von Mayschoß und unter ihr steile Weinberghänge, in die ich klettern will, um zu spüren, wie sich Arbeit dort anfühlt: wenn man abrutscht, fällt mal ca 80 Meter tief direkt vor zwei Tunnel; Immerhin wird man nicht vom Zug überfahren mangels Bahntrasse (18 km wurden weggespült, die Gleise und die Bohlen liegen mittlerweile gestapelt auf einem Sammelplatz…). Wie teuer müsste dieser Wein eigentlich sein bei dieser Gefahr und dem Aufwand? 20 Euro pro Flasche, sagten gestern die sichtlich beeindruckten Rheinhessen-Winzer….
Lest das mit der Saffenburg mal durch: sie war zu allen Zeiten hart umgekämpft, von Schweden und Franzosen immer wieder zerstört und Hexen wurden dort auch denunziert….Zeiten- Zeiten…..
Beim Runterwandern kommt mir, warum mich als Ärztin das alles so besonders anrührt hier im Ahrtal. Das Tal wirkt auf mich wie ein stöhnender Schwerverletzter, um den sich die eigentlich Zuständigen nicht so kümmerten wie sie sollten, sondern die Hobbyhelfer, die Großherzigen. Überall piepst es wie auf einer Intensivstation: Bagger, LKWs, Traktoren und Kehrmaschinen sind die am häufigsten gesehenen und gehörten Fahrzeuge hier. Es kommt allmählich wieder Durchblutung in manche Bereiche, manche dagegen wirken amputiert. Orte, die gesperrt sind, Brücken wie gesprengt, Friedhöfe teilweise noch verstümmelt wie der in Ahrweiler.
Und die Menschen sind so offen und herzlich und dankbar. So kenne ich es aus dem Rettungsdienst. Man duzt sich.
Da ich Engelbert-Strauss-Hosen und Wanderschuhe trage, die mittlerweile von dem typischen Dreck strotzen, werde ich auch als Helfer angesprochen. Ich halte z.B. in Dernau an einer Pizzabude an neben der Tanke und eine Frau steigt aus dem Auto neben mir.
„Gehst auch in den Emma-Laden?“ fragt sie und streichelt Chai.
„Wo ist der?“
„Na hier neben der Pizza-Bude, ist für Betroffene und Helfer kostenlos“
Wie jetzt? Unter Helfer verstehe ich die, die mit Schippe arbeiten…
Ich erzähle ihr, dass ich mein Praxisinventar Kollegen geschenkt habe und jetzt hier Menschen kennenlernen will.
„Na also! Dann hast doch geholfen! Hier gibt es Gemüse, Kaffee, Klopapier….und morgen bekomme ich meinen Karpaltunnel operiert, da muss ich Sachen holen, die ich mit EINER Hand kochen kann“, Sagt sie als sie merkt, dass ich Ärztin bin.
Ich bin wieder mal zutiefst beeindruckt von der Ideenvielfalt und der Improvisation der Menschen. Dieser Emma-Laden ist voll mit allem, was man braucht. Es steht Kaffee da, frisch gebrüht. Ein Mann spricht mich an – machen alle hier einfach so… was ich brauche. Wasser und Gemüse, sage ich. Wieviele Gallonen ich brauche? Ähhh, habe nicht viel Platz im Bus… Gemüse: heute gibt es Kohlrabi und Gurken. Ist mir egal, ich nehm, was da ist. Die Frau hinter dem Tresen bietet mir alles Mögliche noch an: was brauchst noch: Putzmittel hätte ich da. Küchenrollen ham wir nicht, ich habe aber Papierhandtücher und guck hier: noch Sakrotantücher für Deinen Bus….
Ich bin sprachlos… Könnt die alle umarmen. Werfe Spendengeld ins Kässle und schleppe alles zum Wagen.
Paar Meter weiter wurde für die Helfer und Betroffenen ein Essenszelt aufgebaut, da gibt es wieder Kaffee, Kuchen und warmes Essen. Es kommen die Bauarbeiter in ihren Leuchtklamotten, verdreckt und mit Maske im Gesicht (…) und auch Anwohner wie der körperbehinderte Mann mit Gehstöcken, der zitternd seine Nudeln isst unterm Zelt oder der Mann, der seine Tasse mitbringt und einen Teller, um dann damit über die Strasse zu gehen in einen Container zur Beratung von Hilfsgeldern….. Zwischen den Zelten und dem weggespülten Bahndamm haben sie Paletten zu Tischen aufgestapelt und Baumstumpen als Stühle hingestellt. Es wirkt irgendwie dystopisch und gleichzeitig zutiefst menschlich. Ich will hier gar nicht mehr weg. Auf einer Häuserwand steht: „Alle 11 Minuten verliebt sich ein Helfer ins Ahrtal.“ Stimmt, jetzt gerade wieder….
Ich fahre nach Ahrweiler, eine der schönsten Städtchen, die ich bisher gesehen habe, das war es mal und wird es auch wieder. Wie soll ich das beschreiben? Es geht schon los auf dem Parkplatz: Scheibe legen, der Automat ist kaputt. Schlendern durch die Stadt kann ich es nicht nennen, eher Innehalten vor Berührtsein. Ich könnte jedes Haus fotografieren mit einer Mischung von Entsetzen und Hochachtung vor den Menschen. Wieder habe ich Tränen in den Augen. Ich komme zum Friedhof…. später wird mir eine Frau im Café-Bus erzählen, dass dort nach der Flut Autos gesteckt sind, Platten weggerissen waren, kilometerweiter weg gefunden wurden. Die Urnentürme stehen immer noch schief, die Friedhofsmauer wurde meistenteils weggespült, Verankerungen herausgerissen, viele Gräber haben keine Platten mehr, es stehen nur Holzkreuze da mit der Nummerierung vom Friedhofsamt….. Schaut Euch die paar Fotos an…
Dann die Begegnung im Kaffee-Bus vom Hoffnungswerk: Dort können alle kommen und auftanken mit Kaffee und Gesprächen. Dima, David und Wiebke wohnen in einer Ahrhelfer-WG und kochen hier Kaffee und sind einfach da zum Zuhören. Wiebke begrüßt eine Frau, die wohl regelmässig kommt, mit Vornamen und setzt sich zu ihr zum Reden.
Ich komme mit einer älteren Frau ins Gespräch und sie schüttet mir ihr Herz aus … „Hoffentlich kann ich vor Ostern wieder in mein Haus…. wir hatten ja nichts mehr… nichts… Sie glauben nicht, was hier alles rumgeschwommen ist, Autos, Bänke, Bäume…Meine Nachbarn sind ertrunken, weil sie ihr Auto retten wollten.“ Wieder bin ich kurz vorm Feuchteaugenbekommen….
Ich taumle durch die STadt zurück zu meinem Bus fahre zur Quelle der Ahr in Blankenheim in der Eifel. Kommt einfach mal her: Die Quelle ist unter einem der vielen Fachwerkhäuser. Im Krimskrams neben der Quelle komme ich mit der Besitzerin ins Gespräch über BlanQ-Bier, Wolle und Hunde. Klar gehe ich mit Bier und coolen Sprüchen wieder raus. „Einfach mal machen, könnte ja gut werden“ Gutes Motto. Passt hierher….