Vom Festmachen und Wurzelsuchen

Der letzte Tag unterwegs war es. Gestern. Ich war tags zuvor an die Roßtrappe gefahren auf der Suche nach einem Standplatz. Eigentlich hat diese „Trappe“ mich gefunden und nicht ich sie.

Das war so: Einfach über Land vom Jabelsee durch hundert verschiedene Landschaften, Dörfchen und Wälder in den Harz gefahren und in der App einen Platz gefunden an einem Forellenhof, der ruhig sei und nachts nichts kostet, man steht sicher etc…Aber es kam anders.

Ich kam an diesem Schild „Roßtrappe“ vorbei, auf braunem Grund, also was zum Angucken. Erst vorbeigerauscht, dann umgedreht und dem Bauchgefühl hinterher, durch ein malerisches Waldstückchen, alles Landschaftsschutzgebiet. Eine Stimme sagte: Du solltest jetzt einen Platz suchen! Eine sagte: schau dir das noch an und dann siehste weiter. Und DER bin ich gefolgt. Angekommen an einem Aussichtspunkt oberhalb der Bode bei Thale (falls Ihr mal hinwollt), mit Chai ganz nach vorne gelaufen durch Staub und über Felsen. Die Roßtrappe hat ihren Namen von einer Sage, nach der ein Ritter Bode einer angebeteten Brunhilde nachstieg, die wollte das nicht oh Wunder, stieg auf ein weißes Roß und er natürlich auf ein schwarzes, sie sprengte davon, das Roß scheute vor einer Schlucht, sie die Sporen gegeben und flugs darüber geflogen, er hinterher und klar: abgestürzt. Der Abdruck von ihrem Roß auf der anderen Seite ist die Trappe. Und der Fluss unten, in den der unedle Ritter stürzte, ist nach ihm benannt: Bode. So. Was lernen wir? Ist man reinen Herzens, kann man Grenzen überwinden und sich einen Ruck geben, das Böse stürzt dann ab. Oder so…?

Auf jeden Fall war die Wanderung dahin sowas von schön, ich entschied: in dem Hotel davor (ein AKZENT-Hotel!!) dann einen Salat gegessen und in die Weite geschaut. 

Und glaubt Ihr es: der Parkplatz direkt an einer Gondelstation keine 50Meter vom Hotel entfernt: ist als Standplatz markiert. In der App. Glaubste nicht! 

Wieder erfahren dürfen: plan nicht soviel, lass dich ein auf das was kommt! Den Platz hatte ich nicht gesucht, er hatte mich gefunden! Vertraut mehr!!!

Hetzt nicht so viel durch Euer Leben. 

Also nochmal: ich war kreuz und quer durch den Osten gefahren, im Vertrauen, immer im inneren Gespräch Ihr wisst mit wem. Und dann Impulsen gefolgt. Nicht der Angst, sondern Eindrücken. 

Und jetzt stand ich hier oberhalb dieser weiten Landschaft, ganz allein auf diesem Parkplatz der Gondel und hab mir ein Bier aufgemacht. Wieder im Glück. Und das lag nicht am Bier.

Die Nacht war hervorragend ruhig und gestern war dann die Frage: über AB nach Hofheim zu Freunden oder über Land? Deren Signal war: lass Dir Zeit, wir sind erst ab 18.00 daheim.

Beim Gassigehen sehe ich die stillstehende Gondelbahn und denke: wie lange fahren die wohl noch in diesen ver-rückten Zeiten? Wie in einem science-fiction mutet es an, einige Gondeln schwingen leicht hin und her. Beim nach oben schauen fällt mir ein Schwarz-weißes-Kreuz am Himmel auf, was man sieht, wenn die Chemtrails sich mit den Gondelseilen kreuzen. Kreuz und quer läuft alles. Ja genau. Ich werde nachdenklicher. Lege mich ins Gras und schaue eine Blume von unten an. Nur um die Perspektive zu wechseln und um die Erde zu spüren. Chai findet das komisch und gähnt in die Welt.

Frühstück an der Gondelstation an einer Bank – in der Karte schauen, was auf dem Weg liegt: Brocken oder: hier: Kyffhäuser! Da war ich noch nie, und liegt unterhalb vom Harz, entlang von im Autoatlas (ja, sowas benutze ich noch..) grünmarkierten Sträßchen! Also Bus fahrbereit machen, dass nix rumfliegt, Klappen zu und hoffen, dass der Schlüssel sich dreht. 

Auf dieser Fahrt – ich höre ja schon lange kein Radio mehr, unterhalte mich mit mir und Gott – durch Täler und über Höhen, da war es wieder dieses Kreuz und Quer: verschlafene Bachtäler gepaart mit den Zeichen falscher Forstpolitik und somit trockenen Wäldern. Diese Gegensätze. Über eine Ebene durch den Harz, wieder eine andere Weite von abgemähten Feldern, um gen Süden sich wieder aus dem Harz rauszuschlängeln. Zuvor in einem Dorfladen alter Schule gewesen, Milch, Sahne und Johannisbeeren gekauft.

Und man sieht es von weitem: das Kyffhäuser-Denkmal und die Barbarossa-Burg. 

Das hat mich schon weggehauen, wie groß das ist. Mein Bikerherz hat bei der Anfahrt gebebt: 46 Kurven hätte man schön schwingen können. Ich jetzt im Bus damit beschäftigt, dass hinterher noch einigermaßen alles am Platz ist.. und hinter mir Motorradfahrer – ich kenn das Gefühl: Kann der blöde Bus nicht wannanders fahren? – ungeduldig auf ihre Chance lauernd.

Oben: Ein Riesenparkplatz und ich froh, nicht mehr mitten in der Saison zu sein: alles voll mit Andenken-Buden, Fahnen und Krimskrams. 

Was mich dann beim Weg nach oben in mir und um mich erwartete, hatte ich nicht vermutet. Dachte, das sei halt so ein Denkmal für Barbarossa und Wilhelm I., sollte man mal gewesen sein. 

Ist es ja auch. Und die meisten stauben da hoch, machen Fotos, essen ein Eis und fahren wieder runter. Aha, soso, deutsche Geschichte…. 

Ist ja Geschichte, oder? Und deutsch? Was ist das überhaupt?

Lernen Kinder das heute noch, das mit dem Ort hier, das mit Barbarossa und dem Fluß, das mit der Sage, dem Bart und dem Gedicht, das mit Barba-Blanca!?? Hä, wer issn das?

Stimmt die Geschichte, die man uns erzählt? Wenn ich mir heute so anschaue, was wird wohl darüber in 100 Jahren erzählt werden? Wer waren die Helden und warum? Wer schreibt die Geschichte? Und mit welchem Ziel? Was sollen wir glauben, wie es passiert ist? Warum wird Barbarossa als Einiger Deutschlands gefeiert? Warum hat man lange auf sein Wiederkommen (echt jetzt, steht da..) gehofft und dort oben gefeiert? 

Was sind unsere Wurzeln? Worin wurzele ich? An was mache ich mich fest? Ich fotografiere nachdenklich einen Haltebolzen unterhalb des Denkmals, es sind -zig davon am Sockel im Wald in den Fels getrieben. 

Ich zahle den Eintritt von achtfuffzich und gehe rein und erst mal drumherum, schaue mir dieses selbstherrliche Monument an vom Kaiser auf dem Pferd. Was mich mehr beeindruckt ist die Genauigkeit des Pferdes…

Was bedeuten diese Fratzen rundum das Monument? Was die Schlangen? 

Nichts, glaubt mir, NICHTS ist zufällig in der Politik und noch weniger in der Verherrlichung danach. Auch nicht in der Geschichtsschreibung. 

Nachdem ich das von allen Seiten angeguckt und abgelichtet hatte, gehe ich langsam die Stufen hoch – hab sie nicht gezählt. Man wird gewarnt: „Bei Gewitter verlassen Sie bitte SOFORT das Monument und entfernen sich schnellstens“ Drin sehe ich warum: Voller Eisen, Treppe, Geländer…. und es ragt in den Himmel höher als der Funkturm auf dem Nachbarberg.

Oben eine Aussicht auf die sog. Goldenen Auen, rundum über den Harz. 

Chai schlägt sich tapfer beim Erklimmen der hunderten von Treppen rauf und runter. 

Und noch was: dort ist der tiefste Brunnen Europas: 176 Meter tief, im Mittelalter geschlagen! Lasst das mal rein: von Hand, Mann für Mann, wieviele sind da wohl gestorben, verschüttet worden oder erstickt in der Tiefe? 2006 ist man mit modernem Gerät (!!) da runter, guckt Euch mal ein Video an, und hat unten Wasser gefunden von höchster Qualität. 

Ich stehe erstarrt vor dem Brunnen. Andere ziehen an einem Automaten „Gallensteine des Barbarossa“ und werfen sie in den Brunnen. Dann tönt es „Aua, na wartet, Euch zahl ich es heim“. So was von pietätlos und geistlos und achtungsfrei gegenüber den Menschen, die das geleistet haben. Ich wieder sprachlos.

Versunken zurückgelaufen zu einer Klause, dort ein Stück Kuchen samt Kaffee genommen, alles wirken lassen. Überall Biker. 

Ist uns noch bewusst, auf was das alles beruht, was wir hier und heute für selbstverständlich nehmen? Wieviel Blut und Tränen…. wieviel Kampf und Widerstand…. Wieviel Furchtlosigkeit und Mut und Glaube?

Man kann über die Bedeutung von Barbarossa und dem Wilhelm geteilter Meinung sein. Aber ohne solche Figuren, v.a. Ohne die Menschen dieser Zeit, ohne ihre Plackereien wäre nichts wie es ist.

Was macht uns aus als Deutsche? Warum soll man diese Frage nicht mehr stellen dürfen? Haben wir unsere Wurzeln vergessen? 

Und darüber hinaus gefragt: wo machen wir uns fest, wenn es stürmisch wird? Wo haben sich die Menschen damals festgemacht, was können wir von ihnen lernen? 1122 bis 2022. 

1 Kommentar
  1. Michael Stampfer
    Michael Stampfer sagte:

    Wo machen wir uns fest?
    Wo kommen wir her?
    Was hat uns geprägt?
    Das sind wohl ganz entscheidende Fragen die unser Leben ausmachen.
    Ich denke wir können nur gemeinsam lernen. In der Reflektoren erkennen wir unseren Weg in die Zukunft.
    Egal wer wir sind und woher wir kommen.

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